Sind Sie schon mal mit einem Linienbus nach Südosteuropa gefahren? Nein? Ich schon. Und ich sage Ihnen, ich kenne jetzt alle Hits eines Turbofolk-Künsterlers und kann sogar Kolo-tanzen. Also schon jetzt abspeichern: Reisen bildet.
Auf der Suche nach dem adäquaten Reisemittel nach Serbien wählte ich den Linienbus. Dafür sprachen drei absolut schwerwiegende Punkte:
- Ein temporäres Flugverbot zwischen EU-Europa und Serbien,
- Der Wunsch so zu reisen, wie es viele Leute mit Migrationshintergrund täglich tun,
- der unschlagbar günstige Preis.
Die Reisevorbereitungen waren schnell erledigt:
- ein Visum im Generalkonsulat ergattert (damals gab es noch die Visapflicht).
- Bargeld in der Unterhose versteckt.
- Rucksack zweckmäßig gepackt – nur das Nötigste (Medizin für alle Eventualitäten, die im Notfall für eine mittlere Kleinstadt ausreicht, Klamotten, Wörterbücher, Fotoapparat usw…. oh ja: Reisedokumente). Mir war klar, dass ich mein Reisegepäck genau im Auge behalten muss. Wurde doch einem Familienmitglied jüngst ein Gepäckstück mal entwendet – samt den 15 Unterhose xxxl-Size und locker 5 Kilo Kiwis. Dazu aber später mal irgendwann mehr.
- Meiner besseren Hälfte die Reise so schmackhaft gemacht, dass Sie aus eigenen Stücken mitkommen wollte. – Habe versprochen, dass es in Belgrad tolle Shops gibt.
Der Bus sollte früh starten – gegen 6 Uhr an einem Zentralen Omnibusbahnhof in einer norddeutschen Großstadt. Es sollte von der schönsten Stadt Deutschlands in die schönste Stadt des Balkans gehen. Das Reiseunternehmen versprach Süper-Bus mit allen Extras.
Nach langem Warten – es war zwischenzeitlich 9 Uhr – rollte der Süper-Bus an. Die Aufschrift versprach viel: „Raketa Uzice“. Cool serbischer Bus (siehe hierzu auch Tecadunav’s Bild).
Ratzfatz wurde das Gepäck beladen. Der schönste Sitzplatz in Beschlag genommen. Dieser musste zwei Kriterien erfüllen: Gute Sicht auf die Straße und gute Sicht auf den Gepäckraum.
Die Vorfreude auf die Reise quer durch Europa und einem Aufenthalt in Belgrad stieg unermässlich. *freu* Und es sollte noch viel, viel cooler werden: Busfahrer und Ko-Busfahrer tauschten sich aus. Tankten noch mal mit Zigaretten der Marke „Drina“ und mit einem Flachmann Kraft für die lange Fahrt. Angekündigt wurden immerhin 24 Stunden durchschnittlicher Fahrzeit.
Dragoljub – offensichtlich Chef-Busfahrer – richtete sich auf dem Bock ein: Aschenbecher auf, Motor an, Mikrofon an. Ähnlich einer Borddurchsage im Flugzeuge erläuterte Dragoljub kurzerhand zweisprachig die Gepflogenheiten im Bus: Nicht Aufstehen, Nicht rumbrüllen und natürlich Mund halten (cuti bre, jebi ga!).
Wir näherten uns der Autobahn, Dragoljub musste nach dem Erläutern der Wegstrecke sich nun auf den dichten Verkehr konzentrieren. Zum Befördern des Fokussierens auf den Verkehr gehörte nun die entsprechende musikalische Untermalung. Eine Kassette des serbischen Musikers Nedelko Baja Bajic fand ihren Weg in das moderne Autoradio. Und schon bald erklang die Turbofolk-Mucke aus den Buslautsprechern. Ich wusste zu diesem Zeitpunkt noch nicht, in welcher Weise sich sowohl die Melodien als auch die Texte dieser Kassette in mein Unterbewusstsein hämmern würden. Birkenbihls These kann bestätigt werden – man kann auch im Schlaf lernen.
Die Stimmung im Bus stieg. Ein Stimmen-Wirrwarr übertönte zeitweise sowohl das Motorengeräuch als auch die Musik des hervorragenden Musikers aus der damaligen Bundesrepublik Jugoslawiens. Auch setzte im Fahrraum der leichte Geruch von Slivovic ein. Das lag aber eher an meinem Mitpassagier, der in der Reihe hinter mir gegen seine Reiseübelkeit mit einem alten serbischen Hausmittel kämpfte. Offensichtlich gehört hierzu auch die äußerliche Anwendung des Hochprozentigen.
Der Gassenhauer „Ko je on“ von uns Baja ertönte – mittlerweile zum vierten Mal – dank autoreverse-Funktion des modernsten Autoradios aller Zeiten. Grund genug für eine mitreisende serbische Kleinfamilie im Gang Kolo zu tanzen. Hej, auf der A7 Kolo zu tanzen – während andere die Zeit mit dem Austauschen der „neuesten“ Verschwörungstheorien (ein serbischer Volkssport) oder dem Kennzeichen-erraten-Spiel versuchen zu verkürzen – ist cool.
Die Kleinfamilie war der Eisbrecher. Die Stimmung im Bus stieg im rasanten Tempo. Mittlerweile tanzten mehrere Busgenossen mit. Kolo – ein Gruppentanz – kann offensichtlich auch in der Reihe und nicht nur im Kreis oder Halbkreis getanzt werden. Und vor allem auf der A7 irgendwo in Süddeutschland. Ko je on – sta je on? Der Liedtext brannte sich zunehmend in das Gedächstnis eines begeisterten Hobby-Balkanesens. Allerdings fand die Busparty ein jähes Ende durch eine kurze Pause des Fahrers und einem Fahrerwechsel.
Langsam näherten wir uns Belgrad. Mehr dazu – und warum man als Reisender noch mal 5 Euro „für Ungarn“ zahlen sollte und wie ein „fliegender Fahrerwechsel“ funktioniert – gibt es später. Stay tuned.