Autos haben eine ganz besondere Rolle auf dem Balkan, die weit über funktionelle Aspekte eines Mobilitätsinstruments hinausgehen. Sehr viele Emotionen stecken da offensichtlich drin – aber manchmal auch sehr existenzielle Sachen:
- Vor ein paar Jahren lebte ich zur Untermiete bei einem Studenten in Beograd. Was der studierte war letztlich egal, denn er hatte eigentlich nur ein Ziel: mit einem eigenen Auto wollte er dem Studierenden-Dasein ein Ende setzen und sich als Taksidrajver auf die Erfolgsspur setzen. Seine Freundin verstand das nicht. Vielmehr versuchte sie immer auf den hohem Wert der Bildung zu verweisen und auf die exzellenten Zukunftsaussichten. Was natürlich nur schwer zu verstehen ist für eine Generation, die die meiste Zeit ihres Lebens im Embargo verbrachte. Mein „Vermieter“ konnte nicht verstehen, warum ich nicht mit einem Auto, einem folksvagen buba, nach Beograd gekommen bin, sondern by bus. Jeden Abend durchwühlte er Kleinanzeigenblätter, um ein Gefühl zu bekommen, in welcher serbischen Stadt sein Traumauto am preisgünstigsten sei. Es sollte ein BMW sein. Seine Freundin unterwanderte systematisch die Autobechaffungspläne meines Vermieters, was zu erheblichen Dynamit auf der Ebene der Beziehung führte: Sie kaufte von dem Geld Lebensmittel und andere unnütze Sachen, wie Klopapier, Schokolade, Getränke oder zahlte die Telefonrechnung, den Stromanschluss oder die Wasserrechnung. Jetzt, ein paar Jahre später sieht man manchmal einen Taxifahrer durch Beograd fahren – mit seinem 3er BMW, Baujahr 84. Und immer dann, wenn eine Fahrt in Richtung Philologische Fakultät führt, muss mein damaliger Vermieter darüber nachdenken, dass er ja beinahe Lehrer geworden wäre, aber noch rechtzeitig den Absprung geschafft hat… Jbg.
- Mitte der 80er-Jahre lernte ich in Serbien die Angebotspalette der deutschen Automobilproduktion kennen, als ein Nachbar meines Grossvaters voller Stolz mir seinen Wartburg präsentierte. Voller Inbrunst lobte er dieses Gefährt als Spitzenprodukt deutscher Ingenieurskunst. Ich kannte diese Marke damals noch nicht und bestritt die Existenz dieser Marke. Und an diesem Tag lernte ich dann auch noch ein paar Häuser weiter den Trabant kennen. Für mich war das ein Tag voller neuer Erkenntnisse. Ich war beruhigt, als meine Eltern aber auch berichteten, dass sie nie eines dieser beiden Autos fahren werden und schon gar nicht auf das Angebot des Nachbarn eingehen werden, den Audi80 gegen einen Wartburg einzutauschen… Qualität aus Ingolstadt sei anders zu bewerten als die Limousine aus Eisenach.
- Auch in Jugoslawien gab es eine heimische Autoproduktion, die lange Jahre im PKW-Segment durch die erfolgreiche Produktion des Ficas geprägt wurde – einem Klon des Fiat 500. Eigentlich ein richtig geiles Auto. Der Fica war allgegenwärtig – sogar als Polizeiwagen oder auch als Notarztwagen. Er war klein und wendig und verdammt robust. Abgelöst wurde dieses Fiat-Lizenzprodukt dann durch Eigenproduktionen, wie dem Yugo/Zastava koral oder skala oder epi. Später folgte der Florida und heute ein Punto-Klon. Der Fica wurde zum Inbegriff der südslawischen Automobilproduktion und ist in seiner Emotionalität vergleichbar mit dem Käfer oder Ente, die übrigens in Beograd ganz neu entdeckt wurde. Sie hier: Pretty dyane.
Bei meiner letzten Reise nutzte ich den Fuhrpark einer Rent a Car Firma. Ich hoffte auf einen Kleinwagen aus jugosl. Produktion und musste leider einen Chevrolet Spark fahren. Soweit ich informiert bin, ist dies eine amerikanische, südkoreanische, rumänische Produktion. Also richtige Autobauerkunst. Der Wagen – Baujahr 2009 – hatte so viel Komfort, wie der Fica. War nur deutlich hässlicher und kam schlechter mit den Schlaglöchern auf den Landstraßen zu recht. Ich wusste auch im nachhinein erst das Schmunzeln des Autovermieters zu werten, als ich nach einer Kilometerflatrate fragte. Er sagt 300 Kilometer würden ausreichen…
Auch in der darstellenden Kunst spielen Autos auf dem Balkan eine große Rolle. Hier ein paar interessante Beispiele:
- Rajka-Policajka-Sängerin singt über Cabrios irgendetwas unverständliches
- ein junger Turbofolk-Sänger besingt den BMW – sehr ansehlich sind die Backgroundsängerinnen, die nicht singen.
- ein richtiges Erfolgstrio aus Bosnien besingt ebenso richtig tolle Autos.
Stay tuned.
Wir sind Stolz auf Dich. Deine Berichte sind 100% Klasse und bringen uns nicht nur zum Lachen.Durch Deine Berichte ist der Balkan bzw. Serbien auch in Wohnzimmer Live.Weiter so. Wir sind auf neue Beiträge sehr Gespannt. Gruss Milo und Magi